Zu den Hauptinhalten springen

In Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg

SKL Glücksatlas 2023

Ost- und Westregionen gleichen sich im Glück weiter an

Im Mittelfeld des Glücksrankings liegen ost- und westdeutsche Länder eng nebeneinander. Sachsen-Anhalt und Sachsen steigen auf, Baden-Württemberg und Niedersachsen schwächeln. Noch vor wenigen Jahren lagen die ostdeutschen Bundesländer geschlossen am Ende. Das Lebensglück zwischen Ost und West unterscheidet sich heute nur noch geringfügig.

Warum ist es 33 Jahre nach der Wiedervereinigung (1990) noch von Bedeutung, die Unterschiede in der Lebenszufriedenheit zwischen Ost- und Westdeutschen zu thematisieren? Haben sich die Unterschiede nicht so eingeebnet, dass sie keine relevante Rolle mehr spielen? Keineswegs. Unsere Untersuchung ergab, dass die Zugehörigkeit zu Ost- oder Westdeutschland immer noch eine wichtige Kategorie darstellt. In unserer Sonderbefragung aus dem Juni 2023 identifizierten sich 23,1 Prozent (462 Befragte) als Ostdeutsche, während 76,9 Prozent (1.538 Befragte) eine westdeutsche Identität angaben.

In der Glücksforschung ist die Differenz in der Lebenszufriedenheit zwischen Ost und West ein viel untersuchtes Faktum. Nach der Wiedervereinigung betrug die Kluft 1,3 Punkte auf der Skala von 0 bis 10 (Abbildung 1). Die damals sehr hohe Unzufriedenheit der Ostdeutschen hatte klar benennbare Gründe: Viele Betriebe wurden abgewickelt, die Arbeitslosigkeit war hoch, die Abwanderung stark, die Lebensumstände im Osten wurden tiefgreifend verändert.

In den »Nachwendejahren« verringerte sich der Glücksabstand. 2005, als ganz Deutschland in einer Wirtschaftskrise steckte, betrug er »nur noch« 0,46 Punkte (Abbildung 1). Die »neuen Bundesländer« hatten aufgeholt, lagen aber bei Einkommen, Arbeitslosigkeit und Wachstum zurück. Auch die Abwanderung machte sich negativ bemerkbar – etwa im höheren Anteil von Einpersonenhaushalten (Stichwort: Einsamkeit) (Berlemann und Kemmesies 2004). Ähnlich wie beim wirtschaftlichen Aufholprozess glich sich aber auch die Lebenszufriedenheit im Osten langsam, aber stetig dem Westniveau an.

Abbildung 1: Abstand zwischen Ost und West schrumpft

2013 betrug der Glücksabstand zwischen Ost- und Westdeutschland noch 0,49 Punkte. Seither schrumpft er. In der Coronapandemie stürzen West- und Ostdeutsche ab: 2021 trennen sie gerade mal 0,1 Punkte voneinander.

Anmerkung: Lebenszufriedenheit von 0 (»ganz und gar unzufrieden«) bis 10 (»völlig zufrieden«).

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 1990 bis 2013, Glücksatlas-Datenbank 2013 bis 2023.

Corona löste die Unterschiede im Glück fast gänzlich auf

2019 erreichte das Lebensglück der Ostdeutschen mit 7,00 Punkten einen Rekordwert – der Abstand zum Westen war auf nur noch 0,17 Punkte geschmolzen. Ab den 2010er-Jahren kann also von unglücklichen oder frustrierten »Ossis« nicht mehr die Rede sein. Dennoch: Eine kleine Glückslücke hält sich hartnäckig, was bei den bestehenden Unterschieden etwa beim Einkommen oder bei der Beschäftigung kaum verwundert. Deshalb standen die ostdeutschen Länder auch stets am Ende des Regionenrankings.

Die Coronapandemie brachte diese Glückslücke zum Verschwinden. 2020 betrug sie 0,05 Punkte. West und Ost waren in der Coronakrise gleich (un)glücklich: Die Pandemie hat die Ostdeutschen nicht glücklicher gemacht, sie konnten ihr Lebensglück bis Ende 2021 lediglich etwas stabiler halten als die Westdeutschen und sanken weniger stark ab. Die Westdeutschen trafen die Corona-Maßnahmen hingegen ungleich härter. Sie landeten 2021 auf dem niedrigsten Zufriedenheitswert seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984. Der Grund: Im Westen leben mehr Bevölkerungsgruppen, die unter den Lockdowns besonders litten. Das sind insbesondere Jüngere, Frauen, Familien mit Kindern und Selbstständige. Auch die stärker städtische Prägung Westdeutschlands schlug negativ zu Buche: In einer Pandemie ist das Leben auf dem Land deutlich angenehmer, während all die Dinge, die das Stadtleben ausmachen (z.B. die Freizeitgestaltung) eingeschränkt wurden. Hinzu kommt: Die Ostdeutschen erweisen sich wohl insgesamt als widerstandsfähiger gegenüber den Einschränkungen (Liebig et al. 2020).

Mit dem Auslaufen der meisten Corona-Beschränkungen drehen sich diese Effekte wieder. Es war zu erwarten, dass die Westdeutschen, die in der Coronazeit stärkere Glücksverluste hinnehmen mussten, sich davon schneller wieder erholen würden als die Ostdeutschen, die von einem tieferen Glücksniveau nur geringfügig abgesunken waren. Deshalb nahm die Differenz 2022 wieder zu. Aktuell liegt der Abstand zwischen West (6,96 Punkte) und Ost (6,76 Punkte) bei 0,20 Punkten. Die Erholung ist aktuell im Osten solider, was größtenteils auf Glückszuwächse in den drei ostdeutschen Bundesländern Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen zurückzuführen ist. Im Mittelfeld des Regionen-Rankings haben sich die ostdeutschen Länder fest etabliert, vor 2020 lagen sie noch geschlossen am Ende des Rankings. Die Durchmischung der ost- und westdeutschen Bundesländer im Ranking ist eine Folge der Corona-Krise und dürfte irreversibel sein. Ganz ist dieser Ost-West-Angleichungsprozess allerdings noch nicht vollzogen. An der Spitze des Bundesländer-Rankings sind die westdeutschen Spitzenländer noch immer unter sich.

Ostdeutsche fühlen sich unterrepräsentiert

Neben den oben genannten soziodemografischen Fakten (Überalterung, niedrigere Einkommen usw.) gibt es aber auch einen in der Debatte gern übersehenen  relevanten Faktor, der die Lebenszufriedenheit vieler Ostdeutscher schmälert: Diskriminierung. Laut den Ergebnissen der von uns in Auftrag gegebenen Befragung aus dem Juni 2023 fühlen sich Menschen, die sich als Ostdeutsche identifizieren, deutlich unterrepräsentiert in Politik, Staat, Wissenschaft, Medien und Unternehmensführung im Vergleich zu Westdeutschen (Abbildung 2).

Für die Bundes- und Landespolitik zeigen sich 39 Prozent mit der Repräsentation enttäuscht, mit der medialen Berichterstattung sind es knapp 41 Prozent der Ostdeutschen. Diese Zahlen liegen etwa ein Viertel bis ein Drittel höher als bei den Westdeutschen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bundesregierung hat die Richtigkeit dieser Wahrnehmung, dass Ostdeutsche in Führungsebenen von Unternehmen, Behörden, Medien usw. unterrepräsentiert sind, bestätigt.

Abbildung 2: Hoher Anteil Ostdeutscher fühlt sich unterrepräsentiert – besonders in den Führungsetagen großer Unternehmen

Ich fühle mich nicht oder überhaupt nicht ...

Wer sich mit Ostdeutschland identifiziert, sieht sich in Führungspositionen stärker unterrepräsentiert als Personen, die sich mit Westdeutschland identifizieren. Besonders signifikant ist die empfundene Unterrepräsentation in den oberen Etagen großer Unternehmen.

Frage: »Inwieweit fühlen Sie sich als West-/Ostdeutscher in [...] repräsentiert?«
Für die Repräsentativität wurden Gewichtungsfaktoren genutzt.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Glücksatlas-Datenbank 2023.

Besonders deutlich zeigt sich der Unterschied im Repräsentationsempfinden bei großen Unternehmen: Fast jeder Zweite, der sich mit Ostdeutschland identifiziert, fühlt sich in den Führungsetagen großer Unternehmen nicht repräsentiert. Im Gegensatz dazu fühlen sich Westdeutsche in diesem Bereich »nur« zu 30,6 Prozent nicht repräsentiert. Die Abbildung 2 zeigt hierbei nur den Anteil der Ostdeutschen, die sich nicht oder überhaupt nicht repräsentiert fühlen. Würde man noch diejenigen hinzuzählen, die sich in den Management-Etagen großer Unternehmen nur »teils/teils« repräsentiert fühlen, käme man auf 87 Prozent.

Das heißt, gerade mal 13 Prozent der Ostdeutschen fühlen sich in den großen Unternehmen wirklich repräsentiert. Die mangelnde Repräsentation und somit fehlender Einfluss der Ostdeutschen in der gesamtdeutschen Bundesrepublik bestärken das Gefühl, dass Entscheidungen von Seiten der Westdeutschen »über ihre Köpfe hinweg« getroffen werden. Das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Lebenszufriedenheit: Diejenigen, die sich als »Bürger zweiter Klasse« wahrnehmen, weisen im Durchschnitt eine signifikant niedrigere Lebenszufriedenheit von 6,01 Punkten auf, verglichen mit jenen, die solche Empfindungen nicht haben (7,05 Punkte).

Es gibt auch Glücksvorteile in Ostdeutschland

Ostdeutschland hat aber auch Vorteile, die die Lebenszufriedenheit heben. Die Ostdeutschen sind mit der Qualität ihrer Kinderbetreuung deutlich zufriedener, die sie mit 7,74 Punkten bewerten, 0,46 Punkte höher als der Wert im Westen (7,28 Punkte). Das kommt nicht von ungefähr, geben doch Länder wie Sachsen-Anhalt oder Sachsen mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts für ihre Kinderbetreuung aus – in Bayern sind es z.B. »nur« 0,6 Prozent.

Abbildung 3: In welchen Bereichen die Zufriedenheit der Ostdeutschen höher ist

Die Ostdeutschen sind besonders mit ihrem Schlaf, der Kinderbetreuung und ihrer Schulausbildung zufriedener als die Westdeutschen. Bei der Schul- und Berufsausbildung ist der Unterschied groß (0,86 Punkte).

Jeweiliger Durchschnitt auf einer Skala von 0 (»überhaupt nicht zufrieden«) bis 10 (»völlig zufrieden«).

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 2019.

Mit ihrer Schul- und Berufsausbildung sind die Menschen im Osten (6,10 Punkte) ebenso zufriedener als im Westen (5,24 Punkte). Auch hier geben dem Gefühl objektive Bildungsvergleiche recht: Sachsen und Thüringen gehören regelmäßig zu den Bundesländern, die ihre Kinder in den Naturwissenschaften am besten ausbilden und zudem gut betreuen. Dagegen sind die Bremer mit weitem Abstand am unzufriedensten mit ihrer Schul- und Berufsausbildung.

Der Osten schläft besser. Ostdeutsche geben eine durchschnittliche Schlafzufriedenheit von 5,68 Punkten an, Westdeutsche von 4,90 Punkten. Das ist wenig überraschend: Besonders schlecht schlafen Eltern mit Kleinkindern, unter 30-Jährige sowie Topverdiener. Alles Gruppen, die im Osten schwächer vertreten sind. Hinzu kommen die geringere Verstädterung sowie weniger Lärm- und Lichtverschmutzung bei Nacht.

Glücksvorteile der Westdeutschen

Abbildung 4: In welchen Bereichen die Zufriedenheit der Westdeutschen höher ist

Die Westdeutschen sind besonders mit ihrer materiellen Situation zufrieden, mit ihrem Haushaltseinkommen sind sie um 0,37 Punkte glücklicher. Auch die Zufriedenheit mit der Funktionsweise der Demokratie in Deutschland ist höher.

Jeweiliger Durchschnitt auf einer Skala von 0 (»überhaupt nicht zufrieden«) bis 10 (»völlig zufrieden«).

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 2016 und 2019.

Die Westdeutschen haben insbesondere beim materiellen Wohlbefinden »die Nase vorn«. Sie sind sowohl mit ihrem Lebensstandard (um 0,29 Punkte) als auch mit ihrem Haushaltseinkommen (um 0,37 Punkte) zufriedener. Kein Wunder: Die Westdeutschen haben auch heute noch ein deutlich höheres Haushaltseinkommen und größeres Vermögen. Ein anschauliches Beispiel bietet der Unterschied im Gebrauch und Kauf von Autos je Haushalt im Westen und Osten. So besitzen 80 Prozent der westdeutschen Haushalte ein Auto, im Osten sind es 71 Prozent.

Ein weiterer auffälliger Unterschied ist die Zufriedenheit mit den Institutionen, wie Rechtsstaat, Parlament oder Demokratie. So sind die Ostdeutschen mit dem Funktionieren der Institutionen (»Verfassungsrealität«) deutlich unzufriedener (6,82 Punkte) als die Westdeutschen (7,19 Punkte), wie Auswertungen des Eurobarometers zeigen.

2023 lassen wir Corona weiter hinter uns, leider nur in kleinen Schritten: Die Lebenszufriedenheit erholt sich leicht vom Corona-Tief. Frauen und Familien sind wieder glücklicher, aber besonders Jugendliche leiden unter diffusen Ängsten. Die Inflation hat ihren Schrecken etwas verloren. Schleswig-Holstein bleibt weiterhin die zufriedenste Region Deutschlands. Im breiten Mittelfeld mischen sich ost- und westdeutsche Regionen.

Hamburg ist die glücklichste Großstadt Deutschlands, gefolgt von Frankfurt und München. Am unteren Ende liegen Dresden und Leipzig. Ausschlaggebend für die Rangfolge sind »harte Faktoren« wie die Zufriedenheit mit dem Einkommen und die Bewertung der Stadt als Wirtschaftsstandort. Aber auch »weichere Faktoren« sind wichtig, etwa das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bürger, die Qualität der öffentlichen Verwaltung, das Sicherheitsgefühl und die Verkehrsinfrastruktur.

Nach oben