Schleswig-Holstein galt lange Zeit als das Land der Glücklichen. Seit 2013 führte es ununterbrochen die Rangliste der Lebenszufriedenheit in Deutschland an. Doch 2024 muss es den Spitzenplatz räumen und fällt auf Rang drei zurück. Das nördliche Bundesland befindet sich in starkem Wandel: Die traditionelle Landwirtschaft gerät unter Druck, junge Menschen ziehen in die nahgelegenen Städte und bekommen weniger Kinder.
Subjektive
Lebenszufriedenheit
Rang 3 (von 16)
Objektive
Lebensqualität
Rang 8 (von 16)
Schleswig-Holstein, das lange Zeit als das glücklichste Bundesland Deutschlands galt, hat im Jahr 2024 erstmals seit über einem Jahrzehnt den Spitzenplatz im Bundesländer-Ranking verloren. Mit 7,23 Punkten liegt das nördlichste Bundesland nun auf Platz drei, hinter Hamburg (7,38 Punkte) und Bayern, das mit ebenfalls 7,23 Punkten aufgrund einer minimal besseren dritten Nachkommastelle knapp vor Schleswig-Holstein rangiert. Dies markiert einen Wendepunkt.
In den letzten Jahren war der Spitzenplatz hart umkämpft. Seit 2022 hat sich der Anstieg der Lebenszufriedenheit im Norden deutlich verlangsamt. Nach einem kräftigen Zuwachs von 0,36 Punkten im Jahr 2022 – dem stärksten Anstieg seit dem Corona-Tiefpunkt 2020/21 – fiel der Zuwachs 2023 mit 0,07 Punkten schon deutlich geringer aus. 2024 kommt es sogar nur zu einem minimalen Plus von lediglich 0,02 Punkten. Diese abnehmende Dynamik ist kein statistischer Zufall, sondern weist darauf hin, dass die Erholung der Lebenszufriedenheit in Schleswig-Holstein ins Stocken geraten ist. Der Abstand von 0,21 Punkten zum Vor-Corona-Niveau von 7,44 Punkten aus dem Jahr 2019 ist weiterhin deutlich. Andere Bundesländer wie Hamburg, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Sachsen-Anhalt liegen bereits 2024 wieder über dem Vor-Corona-Niveau.
Abbildung 1: Allgemeine Lebenszufriedenheit in Schleswig-Holstein 2015 bis 2024
Im Vergleich zu Gesamtdeutschland schrumpft der Vorsprung Schleswig-Holsteins (Abbildung 1). 2024 liegt die Lebenszufriedenheit nur noch 0,17 Punkte über dem nationalen Durchschnitt, während dieser Unterschied 2023 noch bei 0,29 Punkten und 2022 bei 0,28 Punkten lag. Vor der Pandemie, im Jahr 2019, betrug der Abstand sogar 0,30 Punkte.
Die Gründe für die stockende Lebenszufriedenheit in Schleswig-Holstein sind sehr vielfältig. Zum einen steht in Schleswig-Holstein die traditionell starke Landwirtschaft zunehmend unter Druck – u.a. wegen verstärkter Klima- und Umweltschutzauflagen, dem Aufkauf von Boden durch die Behörden zum Bau von Windkraftanlagen und dem Wegzug junger Menschen. Ein zentrales Problem besteht in der mangelnden Bereitschaft der jüngeren Generation, insbesondere Familienbetriebe als Haupterwerb zu übernehmen. Oft fehlt zudem die wirtschaftliche Perspektive. Dieser Strukturwandel bringt zwangsläufig Verlierer mit sich: Ältere bleiben zurück und müssen die Viehhaltung sowie den Ackerbau aufgeben. Das bisher zufriedenstellende Leben auf den Familienhöfen beginnt zu zerfallen. Die Jüngeren zieht es zunehmend in Städte wie Hamburg, Kiel oder Lübeck sowie deren Umland. Doch das Leben in der Stadt ist in der Regel mit einer geringeren Lebenszufriedenheit verbunden. Das Dynamikranking des IW Köln, welches verschiedene Indikatoren zur Lebensqualität auf Landkreisebene analysiert, zeigt insbesondere im ländlich geprägten Raum Schleswig eine Verschlechterung – etwa in den Landkreisen Nordfriesland und Schleswig-Flensburg.
Schleswig-Holsteiner bleiben in allen Bereichen überdurchschnittlich zufrieden
Trotz dieses Rückgangs sind die Schleswig-Holsteiner in allen Lebensbereichen weiterhin überdurchschnittlich zufrieden (Abbildung 2). In der Zufriedenheit mit Familie und Arbeit führen sie den Vergleich an. Bemerkenswert ist, dass die Schleswig-Holsteiner auch mit ihrer beruflichen Situation sehr zufrieden sind, obwohl sie oft lange Pendelstrecken nach Hamburg zurücklegen müssen, die Löhne in der Tourismusbranche unterdurchschnittlich sind und die wirtschaftliche Innovationskraft des Landes eher schwach ist. Auch die Einkommenszufriedenheit ist höher als erwartet, obwohl die Kaufkraft nur moderat ist und im nahegelegenen Hamburg deutlich mehr Geld verdient wird. Es scheint, als vermieden die Schleswig-Holsteiner den direkten Vergleich mit Hamburg und sind mit ihrem Haushaltseinkommen mehrheitlich zufrieden.
Interessant ist dabei, dass die objektiven Lebensbedingungen in Schleswig-Holstein meist nur durchschnittlich sind. Gemessen an 28 Indikatoren, die im Lebensqualitäts-Ranking verwendet werden, würde das Bundesland nur den achten Platz (von 16) belegen. Dennoch ist die Lebenszufriedenheit außergewöhnlich hoch, was Schleswig-Holstein zu einem klassischen »Overperformer« macht. Auffällige Stärken oder Schwächen zeigen sich in den 28 Indikatoren kaum: Die Geburtenrate, die Kriminalitätsrate und die Arztdichte sind durchschnittlich, und auch die Mieten liegen nur leicht über dem Durchschnitt. Die hohe Lebenszufriedenheit der Schleswig-Holsteiner lässt sich also kaum auf diese objektiven Faktoren zurückführen.
Eine mögliche Erklärung für das hohe Wohlbefinden könnte die dänische »Hygge«-Mentalität sein, die im nördlichsten Bundesland weit verbreitet ist. »Hygge« steht für eine gemütliche, entspannte Lebensweise, die darauf abzielt, aus dem Alltagstrott auszusteigen und die kleinen Freuden des Lebens zu genießen – sei es bei einer Tasse Tee oder einem Kaminfeuer, während draußen der Sturm über die Nord- und Ostsee tobt. Diese Mentalität könnte erklären, warum die Schleswig-Holsteiner seltener über psychische Erkrankungen klagen und warum die Work-Life-Balance hier zu den besten in Deutschland gehört. Auch die Gesundheitszufriedenheit liegt mit 7,32 Punkten über dem bundesweiten Durchschnitt von 7,06 Punkten, obwohl die Verfügbarkeit von Krankenhausbetten in Schleswig-Holstein vergleichsweise gering ist und besonders auf dem Land eine »überalterte« Bevölkerung lebt.
Schleswig-Holstein ist stark von Landwirtschaft und Tourismus geprägt, was sich auch in den öffentlichen Debatten widerspiegelt. Themen wie Tierhaltung, Niedrigwasserböden und der Ausbau von Windenergieanlagen dominieren den politischen Diskurs. Gleichzeitig ist das Bundesland einem Wandel unterworfen: Der Zuzug aus Hamburg nimmt stetig zu, während die traditionelle Landwirtschaft durch den Klimaschutz unter Druck gerät. Dieser Wandel könnte sich zukünftig auf die Lebenszufriedenheit auswirken und die ruhige, »hygge«-geprägte Atmosphäre verändern.
Abbildung 2: Bereichszufriedenheit in Schleswig-Holstein
Es zeigen sich regionale Unterschiede innerhalb Schleswig-Holsteins. So ist die Lebenszufriedenheit in Holstein mit 7,24 Punkten etwas höher als im nördlich gelegenen Schleswig, das auf 7,18 Punkte kommt. Dieser Unterschied verfestigte sich bereits 2023. Innerhalb Schleswigs ist die Zufriedenheit rund um Flensburg am höchsten, während sie in Nordfriesland etwas niedriger ausfällt. Auch innerhalb Holsteins gibt es markante Unterschiede: Lübeck verzeichnet mit 6,62 Punkten einen der niedrigsten Werte im Städteranking 2024, während Kiel mit 7,32 Punkten deutlich besser abschneidet. In den Landkreisen rund um Hamburg liegt die Lebenszufriedenheit meist über der 7,00-Punkte-Marke, während sie in Dithmarschen und Rendsburg-Eckernförde geringer ausfällt.
Abbildung 3: Die Holsteiner sind zufriedener als die Schleswiger
Lebenzufriedenheit im Durchschnitt in Schleswig-Holstein 2024: 7,23
Schleswig-Holstein hat zwar einen Rückschlag bei der Lebenszufriedenheit hinnehmen müssen, bleibt aber ein Ort, an dem die Menschen überdurchschnittlich glücklich sind – trotz moderater objektiver Lebensumstände. Die Mentalität des »Hygge« und die besondere Work-Life-Balance tragen weiterhin maßgeblich zum Wohlbefinden bei.
Stärken | Schleswig- Holstein |
Deutsch- land |
---|---|---|
Arbeitsmarkt Arbeitslosenquotea Anteil Arbeitslose an Erwerbspersonen in %, 2024 |
5,5 |
5,8 |
Infrastruktur Erreichbarkeit Bahnhöfeb Durchschn. Pkw-Fahrzeit zum nächsten IC/ICE-Bahnhof in Minuten, 2021 |
21 |
27 |
Schwächen | Schleswig- Holstein |
Deutsch- land |
---|---|---|
Wohlstand Öffentliche Schuldenc Schulden der Länder und Gemeinden/Gemeindeverbände in Euro je Einwohner, 2023 |
12.512 |
8.867 |
Gesundheitsversorgung Krankenhausbettend Anzahl Krankenhausbetten je 100.000 Einwohner, 2023 |
541 |
573 |
Wirtschaftskraft BIP je Beschäftigtene BIP je Erwerbstätigen in Euro, 2023. |
80.850 |
89.720 |
a Bundesagentur für Arbeit. b INKAR (Laufende Raumbeobachtung des BBSR). c Statistisches Bundesamt. d Gesundheitsberichterstattung des Bundes. e Statistisches Bundesamt.