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In Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg

SKL Glücksatlas

Berlin: Dynamisch, aber unzufrieden

Berlin verändert sich gerade sehr schnell. Vermehrt junge Menschen ziehen in die Stadt, bevorzugt alleine lebend und mit guten Jobaussichten. Darüber hinaus steigt der Migrationsanteil kräftig an. Die Lebenszufriedenheit der Berliner kann sich leicht erholen, verbleibt aber unterdurchschnittlich. Zugleich berichten die Berliner von einer geringen Einkommens- und Familienzufriedenheit. Die Arbeits- und Gesundheits­zufriedenheit konnte sich aber verbessern.

Im Bundesländer-Ranking der Lebenszufriedenheit liegen die Berliner seit Beginn der Messungen 1984 im unteren Drittel. Auch in den 2010er-Jahren steckten sie dort fest, ohne Ambitionen nach oben. 2021 kam mit der Corona-Pandemie ein Rekord-Tiefstwert (Abbildung 1). Auf der Skala zwischen 0 (»ganz und gar unzufrieden«) und 10 (»völlig zufrieden«) gaben die Berliner im Schnitt den Wert 6,2 an. Darunter gab sogar ein Viertel der Bevölkerung nur Werte von 0 bis 4 an – es ist der höchste Anteil an extrem Unzufriedenen. Die Pandemie traf die Berliner also besonders hart. Da die Bevölkerung eher jung ist und hier viele Alleinstehende leben, schmerzte die Einschränkung der sozialen Kontakte besonders, soziale Isolation und Einsamkeit breiteten sich aus.

2023 erholt sich Berlins Lebenszufriedenheit von 6,53 (2022) auf 6,62 Punkte, bleibt aber 0,3 Punkte hinter dem gesamtdeutschen Durchschnitt (Abbildung 1). Mehr als Rang 14 ist da nicht drin, der Abstand zum Mittelfeld ist auch deutlich. Zum Vor-Corona-Niveau 2019 (6,93 Punkte) fehlen noch 0,31 Punkte – in Gesamtdeutschland sind es »nur« 0,22 Punkte. Berlin hat also noch eine weite Strecke zu gehen.

Abbildung 1: Allgemeine Lebenszufriedenheit in Berlin 2015 bis 2023

Die Lebenszufriedenheit in Berlin entwickelt sich 2023 nur leicht nach oben. Mit 6,62 Punkten liegt das Wohlbefinden damit 0,42 Punkte höher als im Pandemiejahr 2021, aber noch 0,31 Punkte unterhalb des Vor-Corona-Niveaus von 2019.

Anmerkung: Lebenszufriedenheit von 0 (»ganz und gar unzufrieden) bis 10 (»völlig zufrieden«).

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 2015 bis 2017, Glücksatlas-Datenbank 2015 bis 2023.

Ein Teil des Unterschieds zur bundesweiten Durchschnittszufriedenheit lässt sich auf das generell niedrigere Wohlbefinden in städtischen Gegenden im Vergleich zu ländlichen Regionen zurückführen. In den Städten gibt es einen höheren Anteil an Einpersonenhaushalten, was wiederum zu verstärkter sozialer Isolation und einem stärkeren Empfinden von Einsamkeit führen kann. Zusätzlich ist das Leben in städtischen Gebieten oft »stressiger«: Die Belastungen durch Lärm, Luft- und Lichtverschmutzung sind höher, der Schlaf kann beeinträchtigt sein und die Präsenz vieler Menschen führt regelmäßig zu einem Gefühl der Enge (»Overcrowding«). Das erklärt aber nicht alles, vergleicht man Berlin mit anderen Städten wie Hamburg (7,11 Punkte, Rang zwei) oder Bremen (6,84 Punkte, Rang neun).

Berlin braucht sich aber nicht zu verstecken. In unserem Städteranking 2023 schafften es die Hauptstädter hinsichtlich der Lebenszufriedenheit auf den vierten Rang – und lagen vor Köln, Stuttgart oder Dresden (aber hinter Hamburg). Zudem liegt Berlin in internationalen Vergleichsstudien zur Lebensqualität regelmäßig im oberen Mittelfeld. Das ist kein Widerspruch: Berlin ist derzeit eine sich sehr dynamisch entwickelnde Stadt. Eine starke Gründer-Szene führt sowohl zu zahlreichen Gewerbeanmeldungen (2021: knapp 112 je 10.000 Einwohner) als auch Insolvenzen. Mehr als jeder Zehnte in Berlin ist selbstständig. Knapp 5.000 Start-ups sind in Berlin derzeit gemeldet – insbesondere in den Bereichen FinTech und Datenanalyse. Das spült Kapital sowie junge Einwohner aus dem Rest der Republik nach Berlin. Auch der Status als Hauptstadt lohnt sich für die Stadtverwaltung: Zahlreiche Medien, Interessensgruppen, Staatsbedienstete und deren Mitarbeiter erhöhen die Finanzkraft der Stadt. Zudem steigt der Migrationsanteil kräftig an: Durch den Ukraine-Krieg kamen insbesondere 2022 zahlreiche Flüchtlinge in die Hauptstadt.

Einkommenszufriedenheit weiterhin gering, Arbeitszufriedenheit erholt sich aber kräftig

Der hohe Zuzug führt aber auch zu Lohndumping sowie zu höheren Wohnungsmieten und verschärft den Wohnraummangel. Die Angebotsmieten je Quadratmeter haben sich vom ersten Quartal 2022 bis zum ersten Quartal 2023 um 24 Prozent erhöht – die Inflation aller Güter und Dienstleistungen lag in diesem Zeitraum bei etwa sechs Prozent. Die hohen Wohnraumpreise ziehen vermehrt Berliner ins Brandenburger Umland: Allein 2021 sind über 18.000 Berliner mehr nach Brandenburg gezogen als Brandenburger nach Berlin. Der Wegzug erhöht allerdings die Pendelzeit vieler Berliner, was die Lebenszufriedenheit wiederum beeinträchtigen kann. Abhilfe kann hier ein – seit Corona verstärkt genutztes – Homeoffice verschaffen, das die Pendeldauer auf wenige Tage pro Woche verkürzt oder ganz auf null reduziert und das Wohlbefinden wieder verbessert.

Abbildung 2: Die Zufriedenheit der Berliner mit ihrem Haushaltseinkommen

Vor 2020 waren die Berliner noch überdurchschnittlich mit ihrem Einkommen zufrieden. Seit Corona ist die Unzufriedenheit aber groß.

Anmerkungen: Einkommenszufriedenheit von 0 (»ganz und gar unzufrieden) bis 10 (»völlig zufrieden«). Haushaltseinkommen: Nettoeinkommen aller Haushaltsmitglieder nach Steuern und Sozialabgaben, aber plus Transfers wie Wohn- oder Kindergeld.

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 2015 bis 2020, Glücksatlas-Datenbank 2021 bis 2023.

Die hohen Mieten wirken sich nicht gerade positiv auf die Einkommenszufriedenheit der Berliner aus. Sie fiel seit 2019 (Abbildung 2) zwischenzeitlich auf 5,93 Punkte (2022), kann sich aber 2023 wieder auf 6,2 Punkte erholen. Vor 2020 waren die Berliner weitaus zufriedener mit ihren Haushaltseinkommen: 2019 lag sie mal bei 7,14 Punkten.

Auch die hohe Ungleichheit hat ihren Anteil an der geringen Einkommenszufriedenheit der Berliner: So erhalten 16 Prozent der Berliner Transferzahlungen vom Staat (Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter, Jugendhilfe usw.). Auf der anderen Seite leben in Berlin auch viele Hocheinkommensbezieher. Zudem: Durch die hohen Wohnkosten steigt die Armutsgefährdungsquote 2023 auf 20 Prozent, d.h. jeder fünfte Berliner verdient weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens und hat Probleme, die Lebenshaltungskosten zu bestreiten.

Abbildung 3: Arbeitszufriedenheit der Berliner

Die Arbeitszufriedenheit hat sich nach einem Tief im Vorjahr wieder auf das Durchschnittsniveau verbessert.

Anmerkungen: Arbeitszufriedenheit von 0 (»ganz und gar unzufrieden) bis 10 (»völlig zufrieden«).

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 2015 bis 2020, Glücksatlas-Datenbank 2021 bis 2023.

Im Jahr 2022 erreichte die Arbeitszufriedenheit mit 6,44 Punkten einen Tiefpunkt, doch 2023 erholte sie sich eindrucksvoll auf 7,06 Punkte, was in etwa dem Durchschnittswert für Deutschland entspricht (Abbildung 3). Dennoch liegen die Werte im Arbeitsbereich immer noch unter den früheren Niveaus. Im Jahr 2021 lag die Arbeitszufriedenheit noch bei 7,3 Punkten.

Familienzufriedenheit erholt sich weiter, Gesundheitszufriedenheit im gesamtdeutschen Durchschnitt

Eine junge Stadt in Verbindung mit einem hohen Anteil an Einpersonenhaushalten spricht typischerweise für eine hohe Gesundheits- und eine geringe Familienzufriedenheit. Tatsächlich sind die Berliner mit ihrem Familienleben (7,25 Punkte) nur unterdurchschnittlich zufrieden (Abbildung 4), auch wenn sich der Wert auf 7,25 Punkte erhöhen kann. Jeder zweite Haushalt in Berlin ist ein Einpersonenhaushalt, in Gesamtdeutschland sind es »nur« knapp 40 Prozent. Alleinlebende sind klassischerweise mit ihrem Familienleben unzufriedener als Paar- oder Familienhaushalte mit zwei oder mehr Personen.

Abbildung 4: Die Zufriedenheit der Berliner mit ihrem Familienleben

Die Familienzufriedenheit der Berliner bleibt auch 2023 unterdurchschnittlich – trotz der leichten Erholung auf 7,25 Punkte. Berlin entwickelt sich zunehmend zu einer Stadt mit zahlreichen Alleinlebenden, welche traditionell mit ihrem Familienleben unzufrieden sind.

Anmerkungen: Familienzufriedenheit von 0 (»ganz und gar unzufrieden) bis 10 (»völlig zufrieden«).

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 2015 bis 2020, Glücksatlas-Datenbank 2021 bis 2023.

Die Gesundheitszufriedenheit liegt mit 7,00 Punkten exakt auf dem gesamtdeutschen Durchschnitt (Abbildung 5). Das ist angesichts des geringen Durchschnittsalters der Stadtbewohner von 42,6 Jahren (Brandenburg z.B. 47,3 Jahre) etwas enttäuschend, lässt es doch eigentlich einen guten Gesundheitszustand erwarten. Eine Meta-Studie des Robert Koch-Instituts stellt aber fest, dass gerade in Berlin psychische Erkrankungen besonders häufig vorkommen. Die Prävalenz depressiver Symptomatiken bei Frauen liegt in Berlin zum Beispiel bei 14,6 Prozent und ist im Bundesländervergleich hier am höchsten. In Thüringen ist der prozentuale Anteil an Frauen, die an Depressionen leiden, um die Hälfte geringer.

Die Autoren vermuten hinter der Häufung in Berlin zum einen die typischen psychischen Belastungen einer Stadt und zum anderen eine nicht näher bestimmte Anziehungskraft Berlins für Menschen mit depressiven Symptomen. Möglicherweise ist dies auch auf die vorherrschenden Arbeitsformen in Berlin zurückzuführen. Viele Berliner führen aufgrund von Selbstständigkeit oder projektbasiertem Arbeiten anspruchsvolle Tätigkeiten aus, die eine klare Trennung zwischen Freizeit und Arbeitszeit erschweren.

Abbildung 5: Die Zufriedenheit der Berliner mit ihrer Gesundheit

Berlin liegt 2023 im Gesundheitsbereich erstmals seit 2015 im bundesdeutschen Schnitt. Der Zuzug vieler jüngerer Menschen kompensiert offenbar die gesundheitlichen Nachteile einer Großstadt.

Anmerkungen: Gesundheitszufriedenheit von 0 (»ganz und gar unzufrieden) bis 10 (»völlig zufrieden«).

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 2015 bis 2020, Glücksatlas-Datenbank 2021 bis 2023.

Stärken Berlin Deutsch-
land
Gewerbeanmeldungen je 10.000 Einwohnera
2021
111,8 76,5
Selbstständigenquoteb
in Prozent aller Erwerbstätigen, 2020
11,6 9,0
Erholungsfläche je Einwohnerc
in Prozent der Gesamtfläche, 2021
13,5 1,5
Schwächen Berlin Deutsch-
land
Mindestsicherungsquoted
Anteil der Empfänger von Grundsicherung bis zur Altersgrenze an allen Einwohnern, in Prozent, 2021
15,1 7,6
Unternehmensinsolvenzene
Beantragte Insolvenzen je 1.000 Betriebe, 2020
6,67 4,25
Baulandpreisef
Durchschnittliche Kaufwerte für Bauland in Euro je m², 2021
1.135 193
Einpersonenhaushalteg
Anteil an allen Haushalten in Prozent, 2020
51,5 40,6
Hohe Prävalenz an Depressionenh
in Prozent aller Einwohner, 2021
9,3 8,1

a Gewerbeanzeigenstatistik. b Arbeitskreis Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder. c Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung des Bundes und der Länder. d Bundesagentur für Arbeit. e Statistik über beantragte Insolvenzverfahren des Bundes und der Länder. f Statistik der Kaufwerte für Bauland des Bundes und der Länder. g Nexiga GmbH Marktdaten. h Robert Koch-Institut.

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